Interview mit Andrii Gapon

„Das Rückgrat der Wirtschaft“

In einem Interview mit Friederike Bauer spricht Andrii Gapon, der Vorsitzende der BDF-Geschäftsführung, über die Bedeutung kleiner Unternehmen und die Lage der ukrainischen Wirtschaft. Der BDF ist eine staatliche ukrainische Einrichtung zur Unterstützung und Entwicklung lokaler kleiner und mittlerer Unternehmen.

Stand: Mai 2024

Ein Mann im Anzug sitzt an einem Schreibtisch mit Blick in die Kamera. Vor ihm auf dem Tisch stehen eine deutsche und eine ukrainische Flagge-
Andrii Gapon, Chef des BDF, gegründet von der KfW.

Die russische Invasion hat die ukrainische Wirtschaft hart getroffen. Wie geht es ihr heute?

Es ist in der Tat nicht einfach für uns. Aber dank gemeinsamer Anstrengungen und internationaler Unterstützung sind die volkswirtschaftlichen Indikatoren nicht schlecht: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im Jahr 2023 um 5,5 % gestiegen, die Inflationsraten sind rückläufig. Alles in allem könnte es also schlimmer sein. Und dies ist zum Teil auf die Arbeit des Business Development Fund zurückzuführen.

Inwiefern war der BDF für den Aufschwung der ukrainischen Wirtschaft von Bedeutung?

Um diese Frage zu beantworten, möchte ich ein wenig in der Geschichte des BDF zurückgehen. 1996 initiierte die Bundesregierung über die KfW die Einrichtung des Deutschen Ukraine-Fonds, der 1999 offiziell vom ukrainischen Finanzministerium, der Nationalbank der Ukraine und der KfW im Auftrag der Bundesregierung gegründet wurde. Das Hauptziel bestand darin, die sozialistische Wirtschaft in eine Marktwirtschaft umzuwandeln und dafür kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen. Für sie war es damals besonders schwer, Zugang zu Finanzierungen zu erhalten. So half der Deutsche Ukraine-Fonds dabei, diesen Teil der Wirtschaft mit Krediten zu versorgen.

Welche Rolle spielen kleine und mittlere Unternehmen in der Ukraine heute?

Sie bilden das Rückgrat unserer Wirtschaft und machen 99 % aller hier registrierten Unternehmen aus. Bevor Russland den Krieg gegen die Ukraine eröffnet hatte, waren rund 80 % der ukrainischen Arbeitskräfte in kleinen und mittleren Unternehmen beschäftigt. Doch dann führten zuerst die Corona-Pandemie und anschließend die russische Invasion zu einem starken Rückgang ihrer Wirtschaftstätigkeit.

Was hat die Regierung getan, um diesen Rückgang zu stoppen?

Im Jahr 2020 führte Präsident Selenskyi das Programm „5-7-9“ ein, um kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu zinsgünstigen Krediten zu ermöglichen. Bei diesem Programm werden die Zinssätze subventioniert, sodass Kredite zu Zinssätzen unterhalb der Marktzinsen vergeben werden können. Je nach Größe des Unternehmens liegen sie bei fünf, sieben oder neun Prozent. Die Marktzinsen lagen damals im Durchschnitt bei rund 26 oder 27 % Das Programm macht also einen echten Unterschied für kleine und mittlere Unternehmen. Um diese Veränderung für die breite Öffentlichkeit sichtbar zu machen, wurde der Deutsche Ukraine-Fonds in „Business Development Fund“ umbenannt – kurz: BDF.

Welche Rolle spielt der BDF seit Februar 2022?

Nach Covid war dies unsere nächste große Herausforderung. Dann wurde beschlossen, dass der BDF sozusagen eine Wirtschaftsfront aufbauen sollte. Seitdem haben wir unser 5-7-9-Kreditprogramm beibehalten und um eine Reihe neuer Programme ergänzt, die alle darauf ausgerichtet sind, die Wirtschaft am Laufen zu halten und die negativen Auswirkungen der russischen Invasion abzufedern.

Welche negativen Auswirkungen hatte die russische Invasion?

Zunächst sah es so aus, als gäbe es einen neuen Holodomor, wie wir das nennen. Der Holodomor war eine schlimme Hungersnot in den 1930er Jahren. Als Russland den unerbittlichen Krieg eröffnete, war das Risiko sehr groß, dass die Landwirte ihre Betriebe nicht würden weiterführen können. Man befürchtete einen Exporteinbruch sowie eine mangelnde Nahrungsmittelversorgung für die ukrainische Bevölkerung. Um dies zu vermeiden, hat der BDF seine Aktivitäten verstärkt. Und der Erfolg gab uns recht: Es fand kein weiterer Holodomor statt. Eine eine riesige Aussaatkampagne, auch unterstützt vom BDF, hat dafür sichergestellt, dass die Landwirte ihre Arbeit machen konnten.

Vergeben Sie nur Kredite mit subventionierten Zinsen oder auch Zuschüsse?

Wir als BDF vergeben gar nichts. Wir arbeiten mit Banken zusammen und spielen die Rolle des Vermittlers. Aber seit Kriegsbeginn bieten wir auch Zuschüsse an. Wir erkannten, dass es nötig war, die Banken zu stimulieren, damit sie Mittel an kleine und mittlere Unternehmen ausgeben. Deshalb haben wir neben unserem klassischen 5-7-9-Programm zahlreiche Zuschussprogramme aufgelegt. Dies geschah mit Hilfe internationaler Geber, zu denen sehr prominent auch Deutschland gehört. Bei einigen Zuschussprogrammen arbeiten wir mit kleinen Summen, wie 4.500 EUR, um Kleinstunternehmern zu helfen. All das hatte eine große Wirkung und trug zu einer Stabilisierung unserer Landwirtschaft sowie unserer Wirtschaft im Allgemeinen bei.

Sie unterstützen auch Unternehmen beim Umzug von Ost nach West ...

Das stimmt. Im Jahr 2022 haben wir ein Programm zur Verlagerung von Unternehmen aus den Regionen Charkiw, Donezk und Luhansk in die Westukraine gestartet. Und 2023 haben wir das Programm „Bring energy to your business“ ins Leben gerufen. Ziel dieses Programms ist es, die Energieeffizienz sowie die Anzahl lokaler Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie zu erhöhen, um die Unternehmen energieunabhängiger zu machen, da die russischen Angriffe sehr oft auf die ukrainische Energieinfrastruktur abzielen. Und natürlich vergeben wir Zuschüsse an Unternehmen, die von russischen Raketen oder Drohnen getroffen wurden. Das ist Teil der fortwährenden Wiederaufbauarbeiten.

Auf welchen Sektor legt der BDF besonderes Augenmerk?

Auf die Landwirtschaft. Die Ukraine ist seit jeher die „Kornkammer“ der Region und weit darüber hinaus. Die Landwirtschaft ist der wichtigste Sektor der ukrainischen Wirtschaft und war zudem der kreditwürdigste in der Ukraine. Jedoch fassen wir zunehmend die Industrieproduktion ins Auge, auch mit dem Ziel, die Wirtschaft zu diversifizieren und die Importabhängigkeit zu verringern.

Ihr Förderprogramm ähnelt sehr dem der KfW, oder?

Dieser Eindruck ist richtig. Der Grund dafür ist: Wir wurden mit Unterstützung der KfW nach den Grundsätzen der KfW gegründet. Wir sind jedoch keine Bank, sondern ein Finanzinstitution. Wir wollen auch keinen Wettlauf mit den Banken in der Ukraine; sie sind unsere Partner, nicht unsere Konkurrenten, sowohl bei Krediten als auch bei Zuschüssen.

Wie wichtig war und ist Deutschland für Ihre Arbeit?

Sehr wichtig. Die KfW hat uns von Anfang an beim Aufbau geholfen. Bis 2019 war sie Miteigentümerin des BDF. Dann ist die KfW ausgestiegen, weil ihre Aufgabe erledigt war. Aber seitdem hat sie im Auftrag der Bundesregierung unsere Programme in unterschiedlichem Umfang unterstützt – und ist seit der russischen Invasion ein wesentlicher Geber. Die KfW ist wie eine gute Mutter – immer an der Seite ihres Kindes. Ich hoffe, dass wir eines Tages etwas davon zurückgeben können, in welcher Form auch immer.

Was ist Ihre Vision für den BDF?

Derzeit sind wir hier nur 24 Mitarbeiter. Ich denke, der BDF muss wachsen und zu einer echten landesweiten Entwicklungsinstitution werden. Das ist meine Vision. Aber natürlich ist es bis dahin noch ein weiter Weg.

Zur Person:

Andrii Gapon ist seit Oktober 2020 Vorsitzender der Geschäftsführung des BDF. Der studierte Jurist hat umfangreiche Erfahrungen in der Privatwirtschaft gesammelt. Bevor er die Leitung des BDF übernahm, war er stellvertretender CEO der ukrainischen Niederlassung eines internationalen Telekommuni­kations­unternehmens und davor u.a. als Rechtsberater in einem Privatunternehmen tätig. Andrii Gapon hat einen Bachelor-Abschluss in Jura und einen Master-Abschluss in internationalem Recht. Beim BDF kann er seine juristische Expertise in Kombination mit seinen Kenntnissen über den Privatsektor einbringen.