Meldung vom 14.01.2015 / KfW Entwicklungsbank
Welle der gesellschaftlichen Emanzipation
Im Gespräch mit Gunnar Wälzholz, KfW-Büroleiter in Kiew
Herr Wälzholz, Sie waren im Osten der Ukraine unterwegs. Wie ist Ihr Eindruck?
Gunnar Wälzholz: Bei der ostukrainischen Region Donbass muss man zwischen drei Gebieten unterscheiden. Ein Teil wird von Separatisten kontrolliert, einen weiteren Streifen konnten die Regierungstruppen befreien. Hier wie dort gibt es schwere Zerstörungen, tausende Menschen sind auf der Flucht. Der dritte Teil war nie besetzt und macht zwei Drittel des Donbass aus, was in den Nachrichten bisweilen untergeht. Auch in den angrenzenden ostukrainischen Bezirken hat es keine Kämpfe gegeben. Einige Städte, zum Beispiel die Industriestadt Dnipropetrowsk, machen einen relativ wohlhabenden Eindruck. Gleichwohl leiden auch sie unter den wirtschaftlichen und humanitären Folgen des Konflikts.
Welche Auswirkung hat die Situation auf die allgemeine wirtschaftliche Lage? Ziehen sich private ausländische Investoren aus der Ukraine zurück?
Wälzholz: Die Rahmenbedingungen für Investitionen sind in der Tat nicht besonders gut. Bereits die weltweite Finanzkrise 2008/2009 hatte die Ukraine stark in Mitleidenschaft gezogen. 2014 fiel die Ukraine erneut in eine tiefe Rezession. Ausländische Direktinvestitionen gingen um 40 % gegenüber dem Vorjahr zurück, die Industrieproduktion schrumpfte um 20 %. Die Landeswährung verlor erheblich an Wert und die Währungsreserven schrumpften auf ein bedenkliches Niveau. Das Wachstumspotenzial ist aber da, zum Beispiel in der Landwirtschaft oder dem IT-Sektor. Die Menschen sind gut ausgebildet. Mittelfristig wird die Ukraine auf die Beine kommen, sofern der dringend erforderliche Strukturwandel vollzogen wird. Dafür sind die Bedingungen jetzt trotz des Konflikts in der Ostukraine gut. Das EU Assoziierungsabkommen und der Abbau von Zollschranken für Exporte in die Europäische Union geben dringend benötigte Modernisierungsimpulse. Bereits im vergangenen Jahr verzeichneten ukrainische Exporte in die EU erhebliche Zuwächse.
Welche Rolle spielt noch der Maidan? Ist noch etwas vom Aufbruch zu spüren?
Wälzholz: Der Maidan war vor allem ein Protest gegen Stillstand, Korruption und Nepotismus. Die Welle der gesellschaftlichen Emanzipation ist auch jenseits von Kiew zu spüren, ganz deutlich auch in Dnipropetrowsk. Die Menschen sind bei allen Schwierigkeiten im Alltag hoffnungsvoll. Sie haben erlebt, dass sie etwas bewegen können. Inwieweit diese Stimmung bei einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Lage anhält, muss sich zeigen. Der Wunsch breiter Bevölkerungsschichten nach einem umfassenden Wandel ist für die weitere Entwicklung sehr wichtig.
Worin besteht momentan die Aufgabe der KfW in der Ukraine? Mussten Sie Projekte wegen des Krieges stoppen?
Wälzholz: Die Bundesregierung hat der Ukraine Kreditbürgschaften in Höhe von 500 Mio. EUR in Aussicht gestellt. Dieser "Garantierahmen" soll unter anderem dabei helfen, die zerstörten Gebiete wieder aufzubauen und die marode Infrastruktur der Ostukraine zu modernisieren. Außerdem sind Haushaltsmittel für die vom Konflikt betroffene Bevölkerung bestimmt, beispielsweise durch die Renovierung von Unterkünften, Schulen und Gesundheitsstationen. Die Erneuerung der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur auch in anderen Teilen des Landes werden wir fortsetzen. Gleichzeitig mussten wir einige Projekte wegen des Konflikts tatsächlich still legen, zum Beispiel ein sich noch in Vorbereitung befindliches Wasserversorgungsvorhaben in Donezk. In der Ostukraine finanziert die KfW im Auftrag des Bundes die Erneuerung der Stromübertragung: einige der zu sanierenden Umspannstationen befinden sich jetzt in Separatisten-Gebiet. Auf der Krim mussten wir ein Projekt zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur auf Gemeindeebene schnell zum Abschluss bringen – glücklicherweise ist uns die Fertigstellung noch laufender Bauvorhaben gelungen.
Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung? Kann sie die Lage in den Griff bekommen?
Wälzholz: Die Zusammenarbeit mit unseren Partnerministerien erlebe ich als wesentlich offener als früher. Die reformorientierte Regierung ist klar Richtung Europa orientiert und sich bewusst, dass ein "weiter wie bisher" schlichtweg keine Option ist. Man muss sehen, inwieweit es ihr gelingen wird, die Bürokratie und Korruption abzubauen, faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und ihre Zahlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Der Modernisierungsbedarf ist gigantisch. Um ihn zu bewältigen, müssen unter anderem die Rahmenbedingungen für Unternehmen dringend verbessert werden: Sie brauchen einfachere Genehmigungsverfahren und Zugang zu langfristigen Finanzierungen. Um diesen zu verbessern, stellen wir ukrainischen Banken Kreditlinien für kleine und mittlere Unternehmen zur Verfügung. Außerdem ist die ukrainische Wirtschaft sehr energieintensiv. Die Energieintensität ist viermal höher als im EU-Durchschnitt und muss dringend reduziert werden. Deshalb möchten wir in Absprache mit der Bundesregierung und unseren ukrainischen Partnern einen Teil der zugesagten Mittel dafür verwenden. Das wird letztlich nicht nur viel Geld sparen, sondern die Abhängigkeit der Ukraine von Energieimporten senken.
Das Gespräch führte Alia Begisheva.
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