Interview mit Marlehn Thieme
Gespräch mit der Präsidentin der Welthungerhilfe, einer Nichtregierungsorganisation, die vor Ort in Ländern des Globalen Südens arbeitet. Marlehn Thieme spricht im Interview mit Friederike Bauer über die Ursachen von Hunger und was zu tun ist, um ihn zu beseitigen.
Veröffentlicht im Oktober 2023, aktualisiert im Oktober 2024
Das Engagement unserer Mitarbeiter*innen, die mit großer Professionalität und Hingabe vorgehen, und die Erfahrungen und Begegnungen mit Menschen vor Ort. Ich war zuletzt in Malawi und habe dort wieder gesehen, welche positiven Wirkungen auch langfristig möglich sind.
Das war ein Projekt zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion – mit besserer Düngung. Das Prinzip ist einfach: Die Menschen halten Ziegen, die zu einer bestimmten Zeit auf die Felder getrieben werden, um dort zu düngen. Außerdem haben sie gelernt, nicht nur Mais anzubauen, sondern verschiedene Getreide- und Gemüsesorten wie Gurken, Kürbisse oder Melonen. Dadurch ist ihre Ernährung jetzt abwechslungsreicher. Die ersten Ziegen kamen von uns; die Lämmer wurden weitergereicht, bis alle welche hatten. Inzwischen gewinnen die Bäuerinnen und Bauern auch ihr eigenes Saatgut. Und noch etwas: Die Kinder gehen jetzt zur Schule. Es war fantastisch zu sehen, wie in einem der ärmsten Länder der Welt mit wenig Mitteln so viel erreicht, so viel Hoffnung und Zuversicht verbreitet werden kann.
Die Region in Subsahara-Afrika. Es beginnt mit dem Klimawandel und seinen Folgen am Horn von Afrika und endet bei den Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen im Sudan und Südsudan. Die Weltgegend ist eindeutig unser Sorgenkind, aber auch Afghanistan, Bangladesch und Syrien sind Hunger-Hotspots.
Der Krieg hat leider enorme Auswirkungen. Wir waren gerade halbwegs durch die Corona-Pandemie, als er ausbrach. Die ausbleibenden oder geringeren Exporte aus der Ukraine trafen auf einen ohnehin schon angespannten Markt für Getreide und Ölsaaten. Die Transporte wurden teuer und schwieriger, weil die Häfen blockiert werden, was besonders die Länder in Nordafrika und in Subsahara-Afrika getroffen hat. Das sehen wir an den Hungerzahlen, die zunächst leider stiegen und seither stagnieren. Wir sind nach wie vor weit entfernt vom Ziel 2 der insgesamt 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) – kein Hunger bis 2030.
Das ist richtig. Die Lage war früher schlimmer. Aber wir sind nicht im Plan, um das Ziel zu erreichen, den Hunger bis 2030 zu beseitigen. Dabei ist das Problem lösbar. Als Weltgemeinschaft haben wir das Know-how und auch die Ressourcen. Wir müssen sie nur richtig investieren und gerecht verteilen.
Es gibt nicht den einen Weg, um Hunger zu bekämpfen. Dafür sind die Gegebenheiten zu unterschiedlich: In manchen Teilen der Welt gibt es zu viel Wasser und Überschwemmungen. In anderen herrscht Dürre, wieder andere leiden unter Konflikten, manchmal ist es auch eine Kombination. Deshalb braucht es immer sehr regionale und lokal angepasste Maßnahmen, um die jeweiligen Lebensverhältnisse zu ändern. Aber überall kann man etwas tun. Manchmal sind Rückhaltebecken nötig, um in Regenzeiten Wasser zu stauen. An anderen Orten klügere Bewässerungssysteme, um das wenige Wasser möglichst effizient einzusetzen. Kurz gesagt: Es braucht lokal und regional angepasste Konzepte, die den Menschen in ihrer jeweiligen Umgebung helfen, sich aus dem Hunger zu befreien.
Derzeit produzieren wir ausreichend Essen. Ob sie auch bei steigender Weltbevölkerung genügen, hängt entscheidend davon ab, wie wir uns künftig ernähren. Weniger Fleisch spart Flächen und schützt Biodiversität. Wenn wir alle stärker pflanzen-basiert essen und weniger Lebensmittel verschwenden würden – etwa ein Drittel wird nie verzehrt –, reicht es auch für zehn oder mehr Milliarden Menschen.
In manchen Gegenden schlägt er schon mit voller Wucht zu. Am Horn von Afrika, in Madagaskar oder im Norden Kenias ist er für die Menschen dort sehr deutlich erkenn- und spürbar. Sie finden dort nur noch schwer eine Lebensgrundlage und sind zum Teil gezwungen, in andere Gegenden umzusiedeln. Auch in Pakistan, wo Überschwemmungen Ernten und Infrastruktur schon total vernichtet haben, ist der Klimawandel kein Thema von morgen, sondern bereits Realität. Hier braucht es jetzt Anpassungsmaßnahmen, die sich ebenfalls an den Gegebenheiten vor Ort orientieren müssen. Dieser Ansatz ist alternativlos, auch wenn er für internationale Organisationen wenig attraktiv sein mag.
Afrika kann zur Kornkammer der Welt werden; das Potenzial ist riesig. Allerdings ist der Kontinent auch besonders von Wetterextremen und den Folgen des Klimawandels betroffen – und die vielen Konflikte tun ein Übriges. Deshalb sind regional angepasste Strategien, die die gesamte Lieferkette umfassen und die Auswirkungen höherer Temperaturen mitberücksichtigen, so wichtig.
Ich würde es umgekehrt formulieren: Dort, wo Regierungen sich entsprechend einsetzen, kann man schnell Erfolge sehen. Wichtig ist hier, die Menschen zu befähigen, sie besser auszubilden, damit sie besser Landwirtschaft betreiben und resilienter gegenüber den Folgen des Klimawandels werden können.
Sie sollte möglichst schlank arbeiten und Bürokratie abbauen: Vorfahrt für das Tun und nicht die Verwaltung. Zudem wären längere Finanzierungszusagen wichtig, die durchaus an Zwischenziele gebunden sein könnten. Aber manche Projekte, gerade wenn sie auch kulturell verändernd wirken sollen, brauchen mehr als den üblichen Drei- bis Fünfjahres-Rhythmus. Und noch etwas; das betrifft eher die Bundesregierung: Das Engagement zur Ernährungssicherung darf nicht einer schwierigen Haushaltslage zum Opfer fallen.
Eigentlich bräuchten wir dafür mehr Mittel; davon mag man als verantwortlicher Steuerzahler in diesen Zeiten nicht sprechen, aber Kürzungen in einem so sensiblen Bereich halte ich für sehr, sehr schwierig. Denn Hunger geht neben dem menschlichen Leid auch immer mit Migrationsbewegungen einher. Es liegt in unserem eigenen langfristigen Interesse, hier nicht zu sparen.
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