INTERVIEW MIT DOMINIK ZILLER
Dominik Ziller, ehemaliger Vizepräsident des „International Fund for Agricultural Development“ im Interview mit Friederike Bauer. IFAD ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Rom. Ziller spricht über die Ursachen von Unterernährung und warum eine Welt ohne Hunger derzeit wieder in weite Ferne rückt.
Veröffentlicht am 14. Oktober 2021, aktualisiert am 16. Oktober 2023.
Noch ziemlich weit. Und das Schlimme ist: Wir entfernen uns derzeit wieder von SDG 2, statt uns dem Ziel anzunähern, nicht zuletzt wegen des Krieges in der Ukraine. Es bleiben neun Jahre bis 2030, der international festgelegten Frist zur Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele, und bei „Kein Hunger“ sind wir weiter hintendran als bei allen anderen SDGs.
Nicht nur. Jahrelang ist die Zahl der Hungernden gesunken, etwa bis 2015, trotz einer wachsenden Weltbevölkerung. Seitdem steigen die Zahlen wieder leicht an. Corona und der Ukraine-Konflikt haben diesen Trend jetzt noch deutlich verschärft. Inzwischen leidet fast jeder dritte Mensch unter einer unsicheren Ernährungslage. 2014 war das noch etwa jeder fünfte. Das zeigt, dass die aktuellen Krisen eine ohnehin schwierige Entwicklung nochmal katalytisch befeuert haben.
Verschiedene, aber eine der wichtigsten Ursachen sind eindeutig Konflikte. Wir sehen, dass sich in fragilen Staaten Hunger und Armut konzentrieren. Nehmen Sie Länder im Sahel, betrachten Sie den Norden Nigerias oder auch Myanmar. Das sind Gegenden mit schwacher Staatlichkeit, bei denen zum Teil auch der religiöse Fundamentalismus eine Rolle spielt. Konflikte sind ein wesentlicher Grund, warum wir im Kampf gegen den Hunger nicht besser vorankommen. Und die Zahl der Konflikte steigt derzeit wieder.
Richtig. Das verschärft die Lage noch zusätzlich. Russland und die Ukraine stehen für ein Drittel der Getreideexporte auf dem Weltmarkt. Liefern sie nicht mehr oder nur in geringem Umfang, ist das natürlich sofort spürbar. Die Preise steigen, selbst Grundnahrungsmittel werden dann für viele Menschen zum Luxusgut, besonders in den Entwicklungsländern. Konflikte generell und dieser im Besonderen sind ein Hauptgrund für Hunger.
Das ist richtig. Es ist beunruhigend zu sehen, dass der Anteil für Nothilfe tendenziell steigt, während die Mittel für längerfristige Entwicklung stagnieren. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass es in bestimmten Gefahrenlagen unmöglich ist, nachhaltig angelegte Projekte mit Experten von außerhalb durchzuführen. Das wäre einfach zu gefährlich.
Tatsächlich müsste man gerade dort ansetzen, damit sich Konflikte nicht weiter zuspitzen. Hier können wir als internationale Gemeinschaft auch noch besser werden, etwa stärker remote und mit Hilfe von Satelliten arbeiten und auf diese Weise einen Beitrag leisten, um Konflikte einzuhegen.
Ganz sicher. Konflikte, extreme Wetterereignisse und Klimaschwankungen sowie wirtschaftliche Schocks und Abschwung wie derzeit sind die drei Hauptursachen für den Hunger in der heutigen Zeit.
Am schlimmsten ist es, wenn beides zusammenkommt und sich gegenseitig verstärkt. Und der Klimawandel ist bereits da. Wir sehen, wie sich nahezu überall auf der Welt Schlechtwetterereignisse häufen, wie Klimaschwankungen zunehmen. Das kann man nicht mehr wegdiskutieren. Gerade in den ärmeren Ländern spüren die Menschen den Wandel ganz massiv: Wüsten dehnen sich aus, Böden vertrocknen. Egal, ob Sie mit Betroffenen in Afrika, Lateinamerika oder Asien sprechen, alle sagen: Da verändert sich gerade etwas und deshalb funktioniert unser bisheriges Wirtschaften nicht mehr.
Ein sehr wichtiger Faktor ist Saatgut, das wegen höherer Temperaturen oft nicht mehr aufgeht oder nicht mehr die bisher üblichen Erträge bringt, insbesondere dann, wenn größere Trockenheit herrscht. Deshalb wird jetzt mit Hochdruck daran gearbeitet, Saatgut zu entwickeln, das resistenter ist bei höheren Temperaturen, das mit weniger Wasser auskommt. Zusätzlich müssen wir auch Bewässerungssysteme verbessern.
Bewässerung spielt schon lange eine Rolle, das ist richtig. Aber erstens gewinnt das Thema aufgrund des Klimawandels eine zusätzliche Relevanz. Zweitens – und das ist das Neue – sprechen wir inzwischen von Ernährungssystemen. Früher ging es vor allem darum, mehr Nahrungsmittel zu produzieren, die Kalorienherstellung zu maximieren. Das ist auch gelungen. Trotzdem gibt es mehr Hungernde. Warum? Weil wir uns zu sehr auf die Produktion konzentriert und den Rest nicht angemessen mitgedacht haben.
Das ganze System – vom Acker bis zum Konsumenten. Um ein Gebiet wirklich zu entwickeln und dort Hunger zurückzudrängen, muss man Wertschöpfungsketten schaffen. Dann reicht nicht der Kleinbauer, selbst wenn er mehr produziert. Sondern dieser braucht auch Lager- und Vertriebsmöglichkeiten, es braucht Gewerbe, die das Erwirtschaftete weiter verarbeiten. Kurz gesagt, hier müssen viele Rädchen ineinandergreifen – und das tun sie nicht.
Oft fehlt das Kapital dafür. Die Finanzierungslücke für ländliche Entwicklung liegt geschätzt bei zwischen 300 und 350 Mrd. US-Dollar im Jahr. Wenn Sie sehen, dass die gesamten Gelder für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit 150 Mrd. US-Dollar betragen, dann ist völlig klar: Das reicht alles nicht, um Wertschöpfungsketten aufzubauen. Dazu kommt ungenügendes Wissen auf Seiten der Bauern, unklare Landverhältnisse, zu wenig Zugang zu Krediten.
Ganz sicher, in ihren Ländern, aber auch in ihrer jeweiligen Region. In Afrika werden nur 13 % der eigenen Produkte in andere afrikanische Staaten exportiert, der Rest geht nach Übersee. Hier braucht es mehr grenzüberschreitenden Handel und regionale Freihandelszonen.
In Afrika liegen 80 % der landwirtschaftlichen Betriebe in der Hand von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern; sie produzieren auch 80 % aller Nahrungsmittel. Schon insofern spielen sie eine entscheidende Rolle für die Ernährung. Interessant ist auch, dass ihr Flächenertrag pro Hektar, obwohl sie meist weniger Dünger und Pestizide zur Verfügung haben, im Schnitt höher ist als bei Großbetrieben. Das hängt beispielsweise mit Monokulturen und ausgelaugten Böden zusammen. Ohne die Kleinbauern besserzustellen, werden wir SDG 2 nicht erreichen können. Im Moment kriegen sie aber nur einen Bruchteil der Mittel, die sie bräuchten. Bisher gehen zum Beispiel nur 1,7 % der Gelder, die weltweit für die Anpassung an den Klimawandel investiert werden, an Kleinbauern in Entwicklungsländern. Das halte ich für ein echtes Versäumnis.
Vor allem dafür sorgen, dass mehr Geld in den ländlichen Raum fließt: Das bedeutet, staatliche Mittel hebeln und Instrumente entwickeln, die es Privatinvestoren erleichtern, mit einzusteigen. Beides hat die KfW in der Vergangenheit gemacht, aber wir müssen alle unsere Anstrengungen erhöhen, wenn wir den Hunger endlich aus der Welt schaffen wollen.
Das lässt sich schwer abschätzen. Tatsache ist, dass es noch viel landwirtschaftlich nutzbare Fläche, vor allem in Afrika, gibt, so dass der absehbare Bevölkerungszuwachs noch zu verkraften ist.
Die globale Verteilung von Lebensmitteln ist komplex. Für viel entscheidender halte ich, dass nicht so viele Lebensmittel weggeworfen werden, bevor sie überhaupt auf einem Teller landen. Hierfür gibt es noch viel zu tun, vor allem bei uns, aber auch in den Entwicklungsländern.
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