Seit 2014 befindet sich Jemen im Bürgerkrieg. Die Iran-gestützten Huthi-Rebellen tragen einen bewaffneten Konflikt mit der Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi aus. Dieser wird von einem Militärbündnis, angeführt durch Saudi-Arabien, gestützt. Diese Situation macht einen normalen Alltag im Land nahezu unmöglich. Die Vereinten Nationen stufen die Lage im Jemen als schwerste humanitäre Krise der Welt ein. Rund 70 % der Bevölkerung sind auf Hilfslieferungen oder Schutz angewiesen. In diesem kaum mehr funktionsfähigen Staat übernehmen Nichtregierungsorganisationen eine wichtige Rolle in der Bereitstellung von Dienstleistungen und Basisversorgung. Im Auftrag der Bundesregierung arbeitet die KfW Entwicklungsbank in Jemen daher nicht mit staatlichen Akteuren, sondern mit NRO, UN-Institutionen und dem Sozialfonds „Social Fund for Development“ (SFD) zusammen. Die landesweite Kooperation mit dem SFD hat sich in den Sektoren Bildung, Wasserver- und Abwasserentsorgung, ländlicher Straßenbau, Mikrofinanzierung und Landwirtschaft etabliert.
Frauen leiden überproportional unter den Folgen des Konflikts: die vor 2014 erreichten Erfolge in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter wurden verspielt. Aufgrund der hohen Analphabetenrate haben Frauen nur schwer Zugang zu Beschäftigung und Teilhabe in der Gesellschaft. Häusliche Gewalt ist keine Seltenheit und Frauen wissen oftmals nicht, wie sie sich und ihre Kinder vor Gewalt schützen können. Dies hat dazu geführt, dass der Jemen im Global-Gender-Gap-Index des Weltwirtschaftsforums 2021 den vorletzten Platz von 156 Ländern einnimmt, während das Land 2006 noch auf Platz 115 lag. Schon vor dem Krieg lag die Analphabetenquote von Frauen mit 70 % weit über der ihrer männlichen Mitbürger (55 %). Analphabetismus bedeutet für die Frauen auch: sie können Beipackzettel für Medikamente ihrer Kinder, Kaufverträge für Grundstücke, ihre Lohnabrechnungen und Arbeitsverträge nicht verstehen und folglich werden sie immer mal wieder „über den Tisch gezogen“. Insbesondere, wenn Frauen zur Gruppe der Muhamasheen (wörtlich: die Ausgegrenzten), einer marginalisierten jemenitischen Gemeinschaft mit vermutlich afrikanischer Abstammung, gehören.
Die Bundesregierung gehört zu den wenigen Gebern, die die Alphabetisierung von Erwachsenen, den Bau von Schulen und die Einstellung von Lehrern fördern – in Kooperation mit dem SFD. Im Rahmen des Programms "Anreize für ehrenamtliche Lehrer" engagieren sich 19 Hilfslehrerinnen in der Provinz Taiz und bringen den 400 Schülerinnen nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen bei – sie werden auch zu Ernährung, Erziehung und Familienplanung geschult. Ein weiteres wichtiges Thema ist Hygiene – wie können Toiletten und Unterkünfte sauber gehalten werden, um Krankheiten wie Cholera, COVID-19 und Durchfall einzudämmen? Die Kurse finden in dezentralen Lernzentren statt, damit der Weg für die Teilnehmerinnen nicht so weit und gefährlich ist. Nach der Teilnahme am Alphabetisierungskurs können die Schülerinnen sich für weitere Trainings anmelden, um sich Qualifikationen anzueignen.
"Von den meisten Menschen werden wir dunkelhäutigen Jemenitinnen diskriminiert", erzählt Inas Ali (35 Jahre), eine geschiedene Frau aus der Region Taiz. "Weil ich eine Geflüchtete bin und zu den Muhamasheen gehöre, hat mir mein Arbeitgeber in der kleinen Firma, in der ich als Reinigungskraft arbeite, nur ein Monatsgehalt von 80.000 YR (130 USD) gezahlt, während mein tatsächliches Gehalt laut Vertrag, den ich nicht lesen konnte, bei 200 USD liegt.“
Vor der Teilnahme am Projekt konnten Inas und ihre Mitschülerinnen weder lesen noch schreiben. Amani, eine ehrenamtliche Lehrerin, hat Inas mit Erfolg davon überzeugt, an dem von der KfW unterstützten Alphabetisierungsprogramm für Erwachsene teilzunehmen. Erst dann verstand Inas, dass sie, wenn sie lesen könnte, die Höhe des Gehalts auf ihrem einfachen Vertrag hätte erkennen können. Auch neu erworbene Kenntnisse im Bereich Hygiene haben die Lage der Frauen verändert. Inas berichtet, dass ihre Familie gemeinsam mit drei anderen vertriebenen Familien eine gemeinsame Latrine genutzt haben. Die Zusammenhänge zwischen der nassen und schmutzigen Latrine und häufig auftretenden Durchfallkrankheiten waren ihnen bis zur Aufklärung im Unterricht nicht klar.
Aisha (65 Jahre) ermutigt ihre drei erwachsenen Töchter zur Teilnahme an den Kursen – und auch sie selbst ist dabei. "Ich habe jahrelang nach einem solchen Programm gesucht – damit wir unsere Situation verbessern und uns selbst vor unseren engsten Verwandten schützen können. Ich habe Frauen kennengelernt, die eine Grundbildung erhalten haben und jetzt erfolgreich ihr eigenes Geld verdienen. Sie führen jetzt ein würdiges Leben", sagt Aisha.
Sie und ihre Töchter beraten sich nun mit Freundinnen darüber, wie sie sich am besten auf das bevorstehende SFD-Training vorbereiten können. Die Lernenden können aus unterschiedlichen Kursen wählen, z.B. die Verarbeitung von Weihrauch, die Herstellung von Perücken, Schneidern, das Frisieren von Frauen, das Herstellen von Accessoires. Durch ihre Teilnahme am Projekt engagieren sie sich zunehmend in den Gemeinden, gewinnen an Selbstständigkeit und entwickeln ein stärkeres Selbstbewusstsein. Sie treffen Entscheidungen und träumen davon, mit Hilfe von Bildung ein angemessenes Einkommen zu erwirtschaften – für ein Leben in Würde.
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