Interview mit Henk Ovink
Im Interview mit Friederike Bauer spricht der erfahrene Wasserexperte Henk Ovink über die globale Wasserkrise und die Gründe, warum wir dieses grundlegende Element des Lebens nicht schätzen.
Veröffentlicht am 28. August 2024.
Es ist eine Mischung aus beruflichen und persönlichen Gründen. Wie Sie wissen, spielt Wasser in meinem Heimatland, den Niederlanden, eine große Rolle. Fast ein Drittel unserer Fläche liegt unter dem Niveau des Meeresspiegels und etwa zwei Drittel sind von Überschwemmungen bedroht. Wir wachsen also alle mit einem Bewusstsein für Wasserthemen auf. Außerdem war ich in meinen jüngeren Jahren Segler, sogar bei Regatten, und ich schwimme gerne in jedem Süßwasserstrom, den ich finden kann. Bei einem meiner ersten Projekte als Planer in Den Haag ging es um Wasser. Und bis heute ist Wasser mein stetiger Begleiter geblieben. Seitdem beschäftige ich mich aus verschiedenen Blickwinkeln mit diesem Thema. Persönliche und berufliche Interessen fließen also hier zusammen, um im Bild zu bleiben.
Wir stehen vor einer globalen Wasserkrise, die sich durch den Klimawandel und den Verlust der biologischen Artenvielfalt weiter verschlimmert. Wenn diese Krise nicht bewältigt wird, ist die Erreichung aller SDGs gefährdet. Das ist eine Bedrohung für die Ernährungssicherheit und Gesundheit und wird zu mehr Armut führen. Und das sind nur einige der negativen Auswirkungen. Außerdem werden wir nicht in der Lage sein, den Klimawandel zu bekämpfen, ohne die Wasserkrise zu lösen. In unserem Umgang mit Wasser muss sich daher dringend etwas ändern. Unsere Kommission soll über ein tiefgreifendes Verständnis der Herausforderungen das Bewusstsein dafür schärfen und neue Perspektiven für ein nachhaltiges Handeln und eine nachhaltige Nutzung der Wasserressourcen aufzeigen.
Die Kommission wurde von der niederländischen Regierung einberufen und wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) unterstützt. Seit unserer Gründung im Mai 2022 arbeiten wir auf drei Ebenen: Eine ist die Analyse und Erforschung des gegenwärtigen und zukünftigen Zustands dieser Wasserkrise im Verhältnis zur Wirtschaft insgesamt, einschließlich zukünftiger Projektionen sowie innovativer Ideen für faire und gerechte Übergänge. Die zweite Ebene besteht darin, mit Gruppen und Gemeinschaften in Kontakt zu treten und sicherzustellen, dass ihre Belange berücksichtigt werden. Und drittens entwerfen wir Handlungspfade, die Koalitionen für den Wandel schaffen. Das werden wir im Herbst dieses Jahres mit einem aussagekräftigen Bericht belegen.
Wir verbrauchen Wasserressourcen übermäßig und verschmutzen sie in einer Größenordnung, wie es das in der Geschichte dieses Planeten noch nie gegeben hat. Gleichzeitig hat die Hälfte der Weltbevölkerung – etwa vier Milliarden Menschen – keine angemessenen Toiletten und mehr als ein Viertel keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. Das ist für mich ein echter Skandal, weil es die Sicherheit, Lebensqualität und Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen ernsthaft untergräbt und ihre Gesundheit schädigt. Das bedeutet, dass wir diese Lücke in der Wassersicherheit schnell schließen müssen, um die grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. Das muss allerdings geschehen, ohne die Wasserressourcen weiter zu erschöpfen. Stattdessen müssen wir den Wasserkreislauf weltweit wiederherstellen, indem wir Landnutzung und Nahrungsmittelproduktion radikal ändern, den Verlust an biologischer Artenvielfalt stoppen und den Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft bewerkstelligen – und zwar alles gleichzeitig.
Es beginnt mit einer anderen Denkweise. Wir müssen unsere Volkswirtschaften durch die Wasserbrille betrachten. Im Moment ist Wasser für uns immer noch selbstverständlich, wir tun so, als wäre es ein unendliches Gut. Es wird als Ressource angesehen, die für jeden und zu jeder Zeit verfügbar ist. Stattdessen sollten wir uns bewusst sein, dass alles mit Wasser verbunden ist und davon abhängt, und somit seine gerechte und nachhaltige Nutzung in jedem Sektor zur Priorität machen. Das geschieht derzeit nicht.
Ja, definitiv. Wasser hat für uns einen immensen Wert, aber dies spiegelt sich nicht in der Art und Weise wider, wie wir damit umgehen, wie wir unsere Volkswirtschaften entwickeln, wie wir gesellschaftsübergreifend zusammenarbeiten, und wie wir mit Übergängen umgehen. Wasser fehlt, obwohl es der Katalysator für Veränderung sein sollte. Ich sehe jedoch seit der zweiten UN-Wasserkonferenz im Jahr 2023 eine globale Dynamik, die Hoffnung macht. Und mit der Kommission wollen wir diese Bewegung vorantreiben und inspirieren und dazu beitragen, Maßnahmen und Übergänge zu beschleunigen und zu skalieren.
Wir könnten, aber im Moment sind wir nicht auf dem richtigen Weg. Tatsächlich stehen viele der SDGs in Frage. Doch jeder Dollar oder Euro, der in Wasser investiert wird, schafft Chancen für Menschen und Gesellschaften – gerade, weil Wasser mit allem und jedem verbunden ist.
Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz, der nationale Wasserstrategien umfasst, diese auf regionaler und lokaler Ebene aufschlüsselt, Menschen und Gemeinden einbezieht und die notwendigen Kapazitäten schafft. Außerdem benötigen wir sichere Bewertungsmechanismen für gerechte Übergänge und Wassersicherheit. Das Wichtigste ist aber: nicht aufzugeben. Es geht um Konsistenz, Kontinuität und Engagement. Drei ganz wichtige Punkte.
Ja, sicher. Ich habe ein Beispiel aus Chennai in Indien. Dort suchten wir nach einer Lösung, um das Wasserproblem anzugehen. Es bestand aus drei großen Herausforderungen: Überschwemmungen, Wasserknappheit und Schadstoffbelastung. Alle drei gehören zusammen. Das Projekt hieß „City of 1000 Tanks“, und wir begannen dort mit der Sammlung von Regenwasser, der Aufbereitung von Abwasser und der Abwasserentsorgung mit dezentralen naturbasierten Lösungen. Parallel dazu wurde der unterirdische Grundwasserraum wiederaufgeladen. Dieser Ansatz ist ganzheitlich und reduziert den CO2-Fußabdruck um 80 %.
Ja, auf jeden Fall, auch weil die dezentrale Abwasseraufbereitung immer besser wird. Darüber hinaus können moderne Anlagen ihre eigene Energie produzieren und sich mit Fragen der biologischen Artenvielfalt beschäftigen. Es gibt eine neue Generation solcher Anlagen mit einem guten Geschäftsmodell, die die Aussicht auf wiederverwendetes und recyceltes Wasser realistischer erscheinen lässt als in der Vergangenheit.
Auch hier sehen wir Verbesserungen. Früher verbrauchten sie enorm viel Energie und waren überaus teuer. Sie erhitzten das Wasser und die Sole war giftig – viele Nachteile also. Jetzt wird der Energieverbrauch gesenkt und auch die Kosten, es gibt innovative Möglichkeiten, die Sole wiederzuverwenden und die Umwelt nicht zu zerstören. Außerdem muss das Wasser nicht immer bis zur Verbraucherqualität entsalzt werden, sondern kann z. B. für industrielle und landwirtschaftliche Zwecke genutzt und wiederverwendet werden. Aber die Senkung des Verbrauchs und die Wiederverwendung von Wasser stehen an erster Stelle. Vor allem in trockenen Regionen und auf kleinen Inseln kann eine Entsalzung sinnvoll sein, ja eine Frage von Leben und Tod. Es kommt also auf den Kontext an.
Wir sind bereits an dem Punkt, weil die Wasserkrise Sicherheit und Stabilität ernsthaft untergraben kann, auch wenn sie nicht der Haupttreiber in einem Konflikt ist. Die Wasserinfrastruktur wird in Konflikten auch als Ziel genutzt. Die Russen hatten von Anfang an bei ihren Angriffen Abwasseraufbereitungswerke und Trinkwasseranlagen als Ziel. Also ja, Wasser ist ein ernster Faktor in Konfliktregionen, und mit dem Klimawandel wird das noch stärker der Fall sein. Das ist ein weiterer Grund, warum wir die globale Wasserkrise jetzt ernsthaft auf allen Ebenen angehen müssen.
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