Interview mit Henk Ovink

„Wasser ist für uns immer noch etwas Selbstverständliches“

Im Interview mit Friederike Bauer spricht der erfahrene Wasserexperte Henk Ovink über die globale Wasserkrise und die Gründe, warum wir dieses grundlegende Element des Lebens nicht schätzen.

Veröffentlicht im August 2024, aktualisiert im März 2025

Henk Ovink am Fluss Rupsa, Bangladesh Delta
Henk Ovink ist seit Anfang 2024 Executive Director der Global Commission on the Economics of Water. Davor war er der erste Special Envoy for International Water Affairs of the Netherlands und leitete die UN-Wasserkonferenz 2023. Er arbeitet seit vielen Jahren im Wassersektor und verfügt über umfangreiche Erfahrungen im diplomatischen, technischen und auch wissenschaftlichen Bereich. Henk Ovink ist niederländischer Staatsbürger und studierte dort Kunst, Stadtplanung, Architektur und Mathematik.

Sie haben sich fast über Ihre gesamte berufliche Laufbahn mit dem Thema Wasser beschäftigt. Wie kam es dazu? Was fasziniert Sie daran?

Es ist eine Mischung aus beruflichen und persönlichen Gründen. Wie Sie wissen, spielt Wasser in meinem Heimatland, den Niederlanden, eine große Rolle. Fast ein Drittel unserer Fläche liegt unter dem Niveau des Meeresspiegels und etwa zwei Drittel sind von Überschwemmungen bedroht. Wir wachsen also alle mit einem Bewusstsein für Wasserthemen auf. Außerdem war ich in meinen jüngeren Jahren Segler, sogar bei Regatten, und ich schwimme gerne in jedem Süßwasserstrom, den ich finden kann. Auch bei einem meiner ersten Projekte als Planer in Den Haag ging es um Wasser. Und bis heute ist Wasser mein stetiger Begleiter geblieben. Seitdem beschäftige ich mich aus verschiedenen Blickwinkeln mit diesem Thema. Persönliche und berufliche Interessen fließen also hier zusammen, um im Bild zu bleiben.

Seit Anfang 2024 sind Sie Executive Director der Global Commission on the Economics of Water. Es handelt sich dabei um eine NGO. Worum geht es genau, was ist der Hauptzweck?

Wir stehen vor einer globalen Wasserkrise, die sich durch den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt weiter verschlimmert. Wenn diese Krise nicht bewältigt wird, ist die Erreichung aller SDGs gefährdet. Das ist eine Bedrohung für die Ernährungssicherheit und Gesundheit und wird zu mehr Armut führen. Und das sind nur einige der negativen Auswirkungen. Wir werden auch den Klimawandel nicht bekämpfen können, ohne die Wasserkrise zu lösen. Bei unserem Umgang mit Wasser muss sich daher dringend etwas ändern. Unsere Kommission soll die tieferliegenden Gründe für die Herausforderungen verstehen und dafür ein Bewusstsein schaffen. Sie soll auch neue Perspektiven für nachhaltiges Handeln und eine nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen aufzeigen.

Wie gehen Sie dabei genau vor?

Die Kommission wurde von der niederländischen Regierung einberufen und wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) unterstützt. Seit unserer Gründung im Mai 2022 arbeiten wir auf drei Ebenen: Eine ist die Analyse und Erforschung des gegenwärtigen und zukünftigen Zustands dieser Wasserkrise und ihr Bezug zur Wirtschaft insgesamt, einschließlich künftiger Projektionen sowie innovativer Ideen dazu, wie Veränderungen gerecht und fair gestaltet werden können. Die zweite Ebene besteht darin, mit Gruppen und Gemeinschaften in Kontakt zu treten und sicherzustellen, dass ihre Belange berücksichtigt werden. Und drittens entwerfen wir Aktionswege, mit denen sich Bündnisse für den Wandel schaffen lassen.

Was genau muss sich ändern?

Wir verbrauchen zu viele Wasserressourcen und verschmutzen sie wie nie zuvor auf diesem Planeten. Gleichzeitig hat fast die Hälfte der Weltbevölkerung – knapp vier Milliarden Menschen – keine angemessenen Toiletten, mehr als ein Viertel hat keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. Das ist für mich ein echter Skandal, weil es die Sicherheit, Lebensqualität und Entwicklungsmöglichkeiten von Menschen ernsthaft untergräbt und ihre Gesundheit schädigt. Diese Lücke bei der Wassersicherheit müssen wir schnell schließen, um die grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. Das muss allerdings geschehen, ohne die Wasserressourcen weiter zu dezimieren. Stattdessen müssen wir den Wasserkreislauf weltweit wiederherstellen, indem wir die Landnutzung und Nahrungsmittelproduktion radikal ändern, den Verlust an Biodiversität stoppen und den Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft hinbekommen – und zwar alles gleichzeitig.

Bewässerung von Feldern
Auch in der Landwirtschaft braucht es ein Umdenken beim Umgang mit der Ressource Wasser.

Wie können wir das schaffen?

Es beginnt mit einer anderen Denkweise. Wir müssen unsere Volkswirtschaften durch die Wasserbrille betrachten. Im Moment ist Wasser für uns immer noch selbstverständlich, wir tun so, als wäre es ein unendliches Gut. Es wird als Ressource angesehen, die für jeden und zu jeder Zeit verfügbar ist. Stattdessen sollten wir uns bewusst machen, dass alles mit Wasser verbunden ist und von Wasser abhängt. Entsprechend sollte die gerechte und nachhaltige Nutzung von Wasser überall eine Priorität sein. Das ist derzeit nicht der Fall.

Sie sprechen von einer anderen Denkweise. Es scheint, dass Wasser nicht ganz oben auf der internationalen Tagesordnung steht. Ist das auch Ihr Eindruck?

Ja, definitiv. Wasser hat für uns einen immensen Wert, aber dies spiegelt sich nicht in der Art und Weise wider, wie wir damit umgehen, wie wir unsere Volkswirtschaften entwickeln, wie wir gesellschaftsübergreifend zusammenarbeiten, und wie wir mit Wandel umgehen. Wasser wird nicht genug beachtet, obwohl es der Katalysator für Veränderung sein sollte. Seit der zweiten UN-Wasserkonferenz im Jahr 2023 sehe ich allerdings eine neue, globale Dynamik, die Hoffnung macht. Mit der Kommission wollen wir diese Bewegung vorantreiben und dazu beitragen, Maßnahmen und Veränderungen zu beschleunigen und zu skalieren.

Das heißt, wir könnten das SDG 6 bis 2030 erreichen – und allen Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser und angemessenen Sanitäranlagen bieten?

Könnten wir. Aber im Moment sind wir nicht im Plan. Tatsächlich sind viele der SDGs gefährdet. Doch jeder Dollar oder Euro, der in Wasser investiert wird, schafft Chancen für Menschen und Gesellschaften – gerade, weil Wasser mit allem und jedem verbunden ist.

Aus einem Trinkwasserbrunnen fließt Wasser in einen blauen Plastikeimer.
Eine Brunnenanlage in Uganda produziert frisches Trinkwasser, das von Frauen in Plastikeimer abgefüllt wird.

Was muss also genau getan werden?

Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz, der nationale Wasserstrategien umfasst, diese auf regionaler und lokaler Ebene aufschlüsselt, Menschen und Gemeinden einbezieht und die notwendigen Kapazitäten schafft. Außerdem benötigen wir sichere Bewertungsmechanismen für gerechten Wandel und Wassersicherheit. Das Wichtigste ist aber: nicht aufzugeben. Es geht um Konsistenz, Kontinuität und Engagement. Drei ganz wichtige Punkte.

Könnten Sie mir ein Beispiel dafür geben, wo ein solcher Ansatz auf Best-Practice-Basis umgesetzt wurde?

Ja, sicher. Ich habe ein Beispiel aus Chennai in Indien. Dort suchten wir nach einer Lösung für das dortige Wasserproblem. Es bestand aus drei großen Herausforderungen: Überschwemmungen, Wasserknappheit und Schadstoffbelastung. Alle drei gehören zusammen. Das Projekt hieß „City of 1000 Tanks“, und wir begannen mit dem Sammeln von Regenwasser, der Aufbereitung von Abwasser und der Abwasserentsorgung mit dezentralen naturbasierten Lösungen. Parallel dazu wurde der unterirdische Grundwasserleiter wiederaufgefüllt. Dieser Ansatz ist ganzheitlich und reduziert den CO2-Fußabdruck um 80 %.

Schätzungen zufolge werden 90 % des Abwassers, insbesondere in Entwicklungsländern, nicht geklärt. Sehen Sie hier Veränderungen?

Ja, auf jeden Fall, auch weil die dezentrale Abwasseraufbereitung immer besser wird. Darüber hinaus können moderne Anlagen ihre eigene Energie produzieren und sich mit Fragen der biologischen Artenvielfalt beschäftigen. Es gibt eine neue Generation solcher Anlagen mit einem guten Geschäftsmodell, die die Aussicht auf wiederverwendetes und recyceltes Wasser realistischer erscheinen lässt als in der Vergangenheit.

Wie sieht es mit Meerwasserentsalzungsanlagen aus? Sind Sie dafür?

Auch hier sehen wir Verbesserungen. Früher verbrauchten sie enorm viel Energie und waren sehr teuer. Sie erwärmten das Wasser und die Sole war giftig – viele Nachteile also. Jetzt sinken Energieverbrauch und Kosten, es gibt innovative Möglichkeiten, die Sole wiederzuverwenden und die Umwelt nicht zu zerstören. Außerdem muss das Wasser nicht immer bis zur Verbraucherqualität entsalzt werden, sondern kann z. B. für industrielle und landwirtschaftliche Zwecke genutzt und wiederverwendet werden. Trotzdem stehen die Senkung des Verbrauchs und die Wiederverwendung von Wasser an erster Stelle. Aber vor allem in trockenen Regionen und auf kleinen Inseln kann eine Entsalzung sinnvoll, ja sogar eine Frage von Leben und Tod sein. Es kommt also auf den Kontext an.

Es wird viel darüber gesprochen, wie die Wasserknappheit in Zukunft Konflikte auslösen und sogar zu Kriegen führen kann. Denken Sie, dass wir an diesen Punkt kommen werden?

Wir sind bereits an dem Punkt, weil Wasserfragen Sicherheit und Stabilität ernsthaft untergraben können, auch wenn sie nicht der Haupttreiber in einem Konflikt sind. Die Wasserinfrastruktur wird in Konflikten auch als Ziel genutzt. Die Russen hatten von Anfang an bei ihren Angriffen Abwasseraufbereitungs- und Trinkwasseranlagen im Fadenkreuz. Also ja, Wasser ist ein ernster Faktor in Konfliktregionen. Mit dem Klimawandel wird das noch stärker der Fall sein. Das ist ein weiterer Grund, warum wir die globale Wasserkrise jetzt ernsthaft auf allen Ebenen angehen müssen.