Interview mit Lorenz Gessner

“Die Lage bleibt volatil – und wir flexibel."

In einem Interview mit Friederike Bauer spricht Lorenz Gessner, Leiter des KfW-Büros in der Ukraine, über die Lage drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs: Trotz widriger Umstände und zahlreichen Hindernissen setzt die KfW ihre Arbeit konsequent fort – und die Unterstützung kommt an.

Porträtbild von Lorenz Gessner
Lorenz Gessner, Leiter des KfW-Büros in Kiew, arbeitet zurzeit von Frankfurt aus.

Der Krieg geht ins vierte Jahr; seit dem 24. Februar 2022 versucht Russland, die Ukraine oder Teile davon zu erobern. Wie leben die Menschen im Land heute?

Es vergeht praktisch kein Tag ohne Angriffe irgendwo. Sie beschränken sich längst nicht nur auf den Osten des Landes, wo Russland weiterhin versucht, Terrain zu gewinnen: Auch in der Hauptstadt Kyjiw gibt es fast täglich Alarm und selbst das westliche gelegene Lviv bleibt nicht verschont. Nur in wenigen Ecken des Landes können die Menschen sich sicher fühlen.

Die Situation ist für alle anstrengend, auch wenn das Leben so gut es geht „normal“ weiterläuft. Aber die Unsicherheit zehrt an der Bevölkerung, dazu die ständigen Unterbrechungen, weil man in einen Schutzraum muss – das bleibt nicht ohne Folgen.

Wie sieht die Unterstützung der Bundesregierung und der EU aus?

Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen drei Jahren sehr deutlich hinter die Ukraine gestellt. Das gilt für die finanziellen Mittel, aber auch generell. Allein über die KfW gab es Zusagen für die zivile Unterstützung von rund zwei Milliarden Euro seit Kriegsbeginn – und zwar von ganz verschiedenen Ministerien. Zu ihnen zählen neben dem Entwicklungsministerium (BMZ) auch das Wirtschaftsministerium (BMWK) und das Finanzministerium (BMF). Mit eingerechnet sind hier auch Zusagen von der EU, die die KfW im Rahmen der Ukraine Investment Facility (UIF) umsetzt. Diese klare Unterstützung ist für die Widerstandskraft der Ukrainerinnen und Ukrainer äußerst wichtig.

Wo steht Deutschland hier im internationalen Vergleich?

Wir sind einer der größten bilateralen Geber im zivilen Bereich.

Fallen die USA als zweitgrößter Geber nach der Zahlungssperre und der angekündigten Auflösung von USAID nun aus? Welche Folgen hätte das für die Ukraine?

Auch wir wissen nicht, wie sich die Situation weiter entwickeln wird, aber vieles dürfte sich fundamental verändern. USAID hat seit Kriegsbeginn einen sehr wichtigen zivilen Beitrag geleistet, sei es bei der Unterstützung von demokratischer Reformen, der Stärkung lokaler Unternehmen, im Energiebereich oder in der humanitären Hilfe. Ein permanenter Wegfall der USAID-Unterstützung würde eine große Lücke reißen – das ist bereits jetzt spürbar.

Hat sich die Arbeit der KfW in den drei Jahren verändert?

Sie ist nicht einfacher geworden. Ich selbst arbeite aus Sicherheitsgründen von Frankfurt aus. In der Ukraine haben wir vier lokale Mitarbeitende. Es wäre natürlich schöner, wenn wir als Team gemeinsam aus Kyjiw an unseren Vorhaben arbeiten könnten. Wir haben zwar ein Büro dort, aber die Kolleginnen und Kollegen vor Ort sind derzeit alle im Home Office. Wir stehen in täglichem Austausch, vernetzen uns virtuell, auch mit unseren ukrainischen Partnern. Das funktioniert sehr gut. Allerdings kommt es vor, dass die ukrainischen Mitarbeitenden während virtuellen Meetings Schutzräume aufsuchen müssen, weil es einen Alarm gibt – der Krieg ist also auch für uns ganz konkret spürbar. Ich habe es bei meinen Reisen selbst erlebt, wie man mitten in der Nacht in den Keller gehen muss, um sich in Sicherheit zu bringen. Trotz dieser Arbeitsweise senden wir im Namen Deutschlands ein starkes Signal aus, das lautet: Wir bleiben da und wir bleiben dran.

Wie sieht es mit den Projekten aus?

Trotz des Krieges werden alle Projekte umgesetzt, die Arbeit geht weiter. Natürlich stoßen wir wegen des Kreigsgeschehens immer wieder auf Schwierigkeiten, wenn wir zum Beispiel aufgrund von Kampfhandlungen Projektstandorte umplanen müssen oder es zu Verzögerungen in der Umsetzung kommt. Dann braucht es Flexibilität und Pragmatismus - und beides bringen unsere Partner und Auftraggeber aber zum Glück mit.

Wo liegen die Schwerpunkte der KfW-Arbeit in der Ukraine?

Wir unterstützen das Land im sozialen Bereich, finanzieren z.B. neuen oder rehabilitierten Wohnraum, der sehr knapp geworden ist, weil viele Menschen durch die Angriffe zu Binnenvertriebenen wurden und ihr Zuhause verlassen mussten. Ergänzend dazu stellen wir Mittel für kommunale Basisinfrastruktur zur Verfügung, das umfasst die Wasserversorgung genauso wie Gesundheitszentren, Kindergärten oder Berufsschulen. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der nachhaltigen Förderung des Privatsektors. Die Wirtschaft trotz des Krieges am Laufen zu halten, ist extrem wichtig. Hier arbeiten wir vor allem mit dem staatlichen Business Development Fund (BDF), der zinsverbilligte Kredite in erster Linie an kleine und mittlere Unternehmen vergibt. Und schließlich finanzieren wir den Energiesektor – Energie bleibt ein Top-Thema. Wir haben auf allen drei Gebieten viel bewirkt und konnten so zu einem möglichst normalen Alltag unter diesen widrigen Umständen beitragen. Hinzu kommt die Unterstützung der DEG, die im Rahmen von develoPPP und ImpactConnect im Auftrag der Bundesregierung einen wichtigen Beitrag im Privatsektor in der Ukraine leistet.

Energie-Anlagen gehören zu den bevorzugten Zielen russischer Angriffe. Ist es nicht frustrierend zu erleben, wie etwas zerstört wird, das mit KfW-Unterstützung aufgebaut wurde?

Die Angriffe auf die Energieinfrastruktur sind in der Tat eine der großen Herausforderungen für die Ukraine. Deren Wiederherstellung ist für Ukrenergo, den staatlichen Energieversorger, mit dem wir hier zusammenarbeiten, eine fortgesetzte Herausforderung. Es sind permanent Teams für Reparaturen unterwegs; darin sind die Ukrainer wirklich gut. Einiges lässt sich allerdings nicht reparieren und muss neu aufgebaut werden. Das ist leider so. Ukrenergo ist deshalb dazu über gegangen, wichtige Infrastruktur mit Schutzanlagen zu versehen, um sie widerstandsfähiger zu machen. Auch versuchen sie, die Energieversorgung stärker zu dezentralisieren. Das fördern wir genauso wie Übertragungsleitungen in Richtung EU, damit die Ukraine einerseits Strom von dort beziehen und andererseits auch Elektrizität in die EU exportieren kann.

Das bedeutet, die Investitionen verpuffen trotz der russischen Angriffe nicht einfach so?

Nein, weil hier die Zukunft immer gleich mitgedacht wird.

Kommen wir noch zum BDF. Er gilt als wichtiger Stützpfeiler für die ukrainischen Wirtschaft. Die ukrainische Seite würden ihn gerne zu einer Förderbank, zu einer Art KfW der Ukraine, weiterentwickeln. Wie stehen Sie dazu?

Das müssen andere entscheiden, aber sollte ein Beschluss in diese Richtung gefällt werden, stehen wir bereit, der Ukraine dabei zu helfen. Derzeit unterstützen wir einen Reformprozess des BDF, durch den dieser institutionell gestärkt und somit kurzfristig für die Refinanzierung durch andere internationale Geber attraktiv wird und sich dann eventuell auch über den internationalen Kapitalmarkt refinanzieren kann. Wir helfen dabei, die nötigen Grundlagen dafür zu schaffen.

Spätestens nach den diplomatischen Avancen der Trump-Regierung gegenüber Russland wissen wir, die Lage kann sich jederzeit ändern. Ist die KfW für einen Wiederaufbau der Ukraine vorbereitet?

Die Lage bleibt volatil – und wir flexibel. Auch wenn wir keinen konkreten Plan in der Schublade haben, weil alles sehr von der Entwicklung der Gesamtlage und von den Wünschen der Ukraine abhängt, gehen wir davon aus, dass Vieles von dem, was wir derzeit finanzieren, nach dem Ende der Kampfhandlungen relevant bleibt, z.B. Wohnungsbau oder der Wiederaufbau der Infrastruktur. Trotzdem wird der Bedarf riesig sein; die Weltbank geht in ihrem Rapid Damage and Needs Assessement (RDNA3) von 2024 von Kosten in Höhe von etwa 486 Milliarden USD über zehn Jahre aus. Als KfW können wir auf jeden Fall einen signfikanten Beitrag zum Wiederaufbau leisten. Wir haben langjährige und zuverlässige Partner, engagierte Teams Frankfurt und vor Ort, und gute Projekte. Darauf lässt sich aufbauen!

Stand: 24.02.2025